Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt schneller als erwartet!

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Upskilling made in Switzerland

In den letzten zehn Jahren haben analytische und interaktive Tätigkeiten zugenommen, manuelle hingegen abgenommen. Dank der Höherqualifizierung ist die Arbeitslosigkeit dennoch nicht gestiegen. Aber die Berufsausbildungen werden künftig noch mehr Anforderungen als heute unter einen Hut bringen müssen.

Von Manuel Aepli und Jürg Schweri, Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung (EHB)

Die Digitalisierung ist in aller Munde – Anlass genug, die bereits feststellbaren Auswirkungen der Digitalisierung auf die Kompetenzanforderungen im Arbeitsmarkt zu untersuchen. Unsere im Auftrag des SECO und in Zusammenarbeit mit INFRAS durchgeführte Studie zeigt, dass die meisten Berufe von der Digitalisierung betroffen sind. Allerdings handelt es sich meist um stetige Veränderungen, während Automatisierungen von ganzen Berufen sehr selten sind. Dafür gewinnen manche Berufe an Bedeutung: Berufe, die stark auf analytischen und interaktiven Tätigkeiten beruhen, gewinnen auf Kosten von Berufen, die auf manuellen Tätigkeiten beruhen. Gleichzeitig verändert sich das Tätigkeitsprofil innerhalb der Berufe. Auch hier gilt: Analytische und interaktive Tätigkeiten werden wichtiger, manuelle weniger wichtig. Der Schweizer Arbeitsmarkt hat diese stetigen Veränderungen bisher gut gemeistert. Dabei scheint vor allem die fortlaufende Höherqualifizierung eine wichtige Rolle zu spielen. So passte sich das Angebot an gutqualifizierten Arbeitnehmenden laufend den gestiegenen Bedürfnissen des Arbeitsmarktes an. Die Digitalisierung wirkt sich über drei Kanäle auf den Arbeitsmarkt aus: Erstens entstehen neue Produkte wie beispielsweise Smartphones. Das schafft neue Arbeitsplätze für Leute, die Smartphones und die darin enthaltene Technik entwickeln und vermarkten. Gleichzeitig veralten andere Produkte. Sie zu produzieren, wird überflüssig und damit verbundene Arbeitsplätze fallen weg. Zweitens entstehen neue Vertriebskanäle: Der Taxifahrer wird zum Uberfahrer, der Hausmann zum Airbnb-Zimmervermieter. Das schafft neue Verdienstmöglichkeiten, erhöht aber den Konkurrenzdruck für gestandene Taxiunternehmen und Hotels. Hier können Arbeitsplätze verschwinden. Drittens entstehen neue Produktionsprozesse: Die Art, wie Produkte hergestellt werden, verändert sich durch die Digitalisierung oft grundlegend. Was die Zahntechnikerin und die Pflegefachleute früher von Hand machten, können heute die Fräsmaschine und der Medikamentenabfüllautomat übernehmen. Gleichzeitig werden andere Arbeitsschritte (zum Beispiel die Arbeitsprozessplanung und -überwachung) wichtiger, sodass unklar ist, ob netto Arbeitsplätze wegfallen oder dazukommen. Zusätzlich gilt es die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen dieser Vorgänge zu berücksichtigen. Wenn Produkte, Vertriebskanäle und Produktionsprozesse aufgrund der Digitalisierung effizienter werden, führt dies zu sinkenden Preisen und höherer Nachfrage. Auch dadurch können Arbeitsplätze entstehen.

Tätigkeitsprofile der Berufe

Ob und wie ein Beruf von diesen Wirkungen betroffen ist, hängt mit den im jeweiligen Beruf ausgeübten Tätigkeiten zusammen. Um die Wirkungen der Digitalisierung auf die verschiedenen Berufe abzuschätzen, haben wir jedem Beruf ein Tätigkeitsprofil zugeteilt, welches aus analytischen, interaktiven und manuellen Nicht-Routinetätigkeiten sowie kognitiven und manuellen Routinetätigkeiten besteht. Dabei haben wir die Einschätzungen von deutschen Experten/ -innen verwendet (Dengler, Matthes und Paulus). Eine Tätigkeit wurde dann als «Routine» eingestuft, wenn sie mithilfe der heutigen Technik grundsätzlich automatisierbar ist. Die Unterteilung eines Berufes in mehrere Tätigkeiten trägt dem Umstand Rechnung, dass kaum ein Beruf als Ganzes, sondern oft nur einzelne Arbeitsschritte automatisierbar sind. Für die Analyse der Tätigkeitsentwicklungen auf dem Arbeitsmarkt haben wir die gearbeiteten Stunden je Tätigkeitskategorie aller Berufe zusammengezählt. Die Abbildung zeigt diese Entwicklung der Beschäftigung in den fünf Tätigkeitskategorien. Der Anstieg bei den interaktiven und analytischen Tätigkeiten liegt deutlich über der durchschnittlichen Zunahme der geleisteten Arbeit. Die manuellen Tätigkeiten entwickelten sich unterdurchschnittlich. Die manuellen Routinetätigkeiten waren sogar in absoluten Zahlen rückläufig, was den Einfluss der Automatisierung in den betreffenden Berufen zeigt. Andere Trends, die parallel zur Digitalisierung wirken (zum Beispiel Offshoring), dürften hier ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Auch mit der fortschreitenden Digitalisierung sind aber nicht alle manuellen Tätigkeiten automatisierbar. Dazu gehören beispielsweise Tätigkeiten in Reinigungsberufen oder in der Gastronomie (manuelle Nicht-Routinetätigkeiten). Etwas überraschend ist die Zunahme der kognitiven Routinetätigkeiten. Betrachten wir die Tätigkeitsprofile der einzelnen Berufe, zeigt sich, dass diese kognitiven Routinetätig-keiten einerseits oft in eher manuell ausgerichteten Berufen vorkommen und hier entsprechend rückläufig sind. Andererseits beinhalten eine Reihe von Berufen neben analytischen und interaktiven Tätigkeiten auch kognitive Routinetätigkeiten. Dazu gehören Büroberufe wie juristische Berufe oder Bank- und Versicherungsberufe. Offenbar fallen bei der Computerbenutzung oft Tätigkeiten wie inhaltliches Verarbeiten, Übersetzen oder Einordnen von Texten (Textmining) oder das Aktualisieren von Datensätzen an, die technisch gesehen automatisierbar wären, jedoch noch immer von Menschen ausgeführt werden.

Arbeitslosigkeit als Indikator

Falls die Tätigkeitsprofile der Stellensuchenden im Zuge der Digitalisierung zunehmend nicht mehr mit den im Arbeitsmarkt gefragten Tätigkeitsprofilen übereinstimmen würden, würde dies zu einer deutlichen Zunahme der Arbeitslosigkeit führen. In der Schweiz war dies bislang nicht der Fall. Zu diesem positiven Befund passt, dass wir keine Polarisierung des Arbeitsmarktes feststellen. Von Polarisierung sprechen Ökonomen, wenn Arbeitsplätze mit mittlerem Anforderungsniveau verschwinden und gleichzeitig vermehrt schlecht bezahlte sowie sehr gut bezahlte Arbeitsplätze entstehen. Die Entwicklung in der Schweiz lässt sich dagegen eher mit dem Begriff «Upskilling» beschreiben: Die geleistete Arbeit in Berufen mit tiefem und mittlerem Anforderungsniveau blieb seit 2006 konstant, jene in Berufen mit hohem Anforderungsniveau nahm zu. Dieses Upskilling finden wir auch bei einer Betrachtung der geleisteten Arbeit nach Ausbildungsabschlüssen wieder. Seit 2006 hat sich die Arbeit von Personen mit einem Tertiär-A-Abschluss mehr als verdoppelt, wobei ein grosser Teil dieser Steigerung auf Personen mit einem Fachhochschulabschluss zurückgeht. Die geleistete Arbeit von Personen mit Berufsbildung oder einem Tertiär-B-Abschluss blieb dabei mehr oder weniger konstant. Dieses Up-skilling, das durch die Einführung von Berufsmaturität und Fachhochschulen möglich gemacht wurde, passt zu den steigenden Qualifikationsanforderungen im Zuge der Digitalisierung. Der schweizerische Arbeitsmarkt und das Bildungssystem haben die Digitalisierung also bisher insgesamt gut gemeistert. Noch nicht vertieft untersucht wurde jedoch, ob und welche Personengruppen in den letzten Jahren verstärkt unter Druck geraten sind.

Curricula rasch anpassen

Im Bildungssystem stellen sich einige Herausforderungen: Der rasche Wandel erfordert rasche Anpassungen sowohl der Curricula auf allen Bildungsstufen als auch der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften aller Stufen. Gefordert sind auch pädagogische Ansätze zur Vermittlung einer «digital literacy», die die Lernenden zum sicheren, kompetenten, aber auch kritischen Umgang mit digitalen Technologien befähigt. Dazu sind nicht Programmierkenntnisse im engeren Sinne nötig, sondern ein vertieftes Verständnis für Einsatzmöglichkeiten und Grenzen dieser Technologien im Privat- und im Berufsleben. Die Verschiebungen der Tätigkeiten innerhalb der Berufe und der Beschäftigungsanteile zwischen Berufen führen dazu, dass sich die Kompetenzanforderungen rasch wandeln. Dies erfordert eine kontinuierliche Nachqualifizierung der Beschäftigten, vermehrt aber auch Umschulungen für jene, deren Kompetenzen auf dem Arbeitsmarkt kaum mehr gefragt sind. Weiter führt die zunehmende Vernetzung dazu, dass neue Schnittstellen zwischen Berufen entstehen und verschiedene Berufsgruppen vermehrt kooperieren müssen. Für die Curricula der Berufsbildung stellt sich daher eine Mehrfachherausforderung: Wie können die weiterhin notwendige berufliche Spezialisierung, die zunehmende Komplexität der Arbeitsprozesse wie auch die zunehmenden Schnittstellen zwischen den Berufen in geeigneter Weise kombiniert werden, ohne die Ausbildungen zu überladen?

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